Das Stadtmauersystem von Quedlinburg

Torsten Schmelz (August 2006)


Stadtmauern sind die typischen Sicherungsanlagen mittelalterlicher Städte.

In Quedlinburg wurde vermutlich im 12.Jahrhundert mit dem Bau einer solchen Anlage begonnen. Von einer Marktmauer gibt es aus dem Jahre 1179 schriftliche Kunde, urkundliche Nachrichten über das Vorhandensein einer Stadtmauer stammen aus dem Jahre 1225.

Die Stadtmauer entstand, wie auch die Stadtanlage Quedlinburgs, in mehreren Bauphasen.

 

Zuerst wurde die Altstadt mit einem Mauerring befestigt. Wegen des Geländeanstiegs im westliche Altstadtbereich musste die Mauer dort durch Türme und zusätzlich durch Bastionen armiert werden, die der Aufnahme schwerer Wurftechnik und später auch der Aufstellung von Geschützen dienten. Im Norden, Osten und Süden nutzte man zusätzlich das sumpfige Gelände der Bodeniederung zur passiven Verteidigung. Durch Umleitung des Wassers der Bodearme und des Mühlengrabens ergaben sich hier, insbesondere im Bereich der Fischteiche und des Kleers, vielfältige Flutungsmöglichkeiten. So wurde der Zusammenschluss der Siedlungskerne um den Marktplatz, um St.Blasii und das Neuendorf nördlich des Marktes in der heute noch im Stadtgrundriss erkennbaren Tropfenform von einer zweischaligen Werksteinmauerkonstruktion umgeben. Die äußere und innere Schale bestand aus Sandsteinquadern welche, man im Kern mit Mörtel und Bruchsteinen verfüllte. Stellenweise war die Mauer vom Fundament bis zum Wehrgang über 6m hoch. Es lässt sich nicht mit Gewissheit sagen, ob an allen Abschnitten der Mauer einst ein Wehrgang, vielleicht mit einer hölzernen Überdachung, existierte; gelegentlich lassen Restlöcher im Sandstein darauf schließen. Im westlichen Bereich entlang der jetzigen Wallstraße ist jedoch deutlich ein Umgang mit Brustwehr vorhanden. Vom Marschlinger Hof aus ist dieser Umgang gut sichtbar. In diesem Abschnitt wurde aufgrund der bereits genannten Gefährdung nicht nur eine „einfache“ Wehrmauer errichtet, sondern ein ganzes Verteidigungssystem. Dieses bestand neben der Hauptmauer aus einem breiten Graben, einer Vormauer, Zwingmauern, einem zusätzlichen Wall und der dicht gestaffelten Reihung von Türmen und Bastionen.

 

Mit der Entstehung der Neustadt war auch eine Erweiterung der Stadtmauer verbunden. Dieser neue östlichen Teil der Stadtbefestigung war anfangs weitaus weniger massiv ausgeführt. Schon bald nach der Herstellung der politischen Einheit von Alt- und Neustadt im Jahre 1330 sollte sich 1336 in der Fehde mit dem Grafen Albrecht II. vom Regenstein diese Tatsache als großer Mangel herausstellen. Die damals nur ungenügend gesicherte ca. 1,5 km lange Mauer der Neustadt konnte von den Angreifern überrannt werden. Nach dem militärischen Sieg über den Grafen Albrecht II. wurde dieser Abschnitt verstärkt. Dazu verwendete man einen Teil des als Wiedergutmachung gezahlten Geldes des vormaligen Angreifers. Die Niederlage der Stadt Quedlinburg 1477 im Streit mit der Äbtissin Hedwig von Sachsen, die von ihren Brüdern Ernst und Albrecht massive militärische Hilfe erhielt, führte letztlich zum Stillstand baulicher Ausdehnungen des städtischen Verteidigungswesens. Es erfolgte keine Anpassung und Erweiterung nach den Prinzipien der Festungsbaukunst der Renaissance und der späteren Zeiten.

Somit blieb die mittelalterliche Stadtbefestigung in Quedlinburg bis in das 19. Jahrhundert unverändert erhalten. Doch dann wurden die engen Stadttore abgebrochen und Raum für breitere Verkehrswege geschaffen. Ebenso erfolgten verschiedene Durchbrüche der Stadtmauer für den Bau neuer Straßen. Dennoch sind von der einst über 3,4 km langen Stadtmauer heute noch ca. 2,7 km Mauer, acht Wehrtürme und mehrere Bastionen erhalten geblieben. Der Verlauf der Stadtmauer ist noch vollständig nachvollziehbar. Bei Straßenbauarbeiten der letzten Jahre wurde an verschiedenen Stellen der frühere Mauerverlauf entsprechend der archäologischen Befunde im Straßenpflaster sichtbar gemacht.